Manchmal gibt es Lebewesen, die einen nachhaltig verändern. Livia, die Sie im Folgenden etwas kennenlernen werden, ist eines davon.
Heute erinnert kaum noch etwas an der kleinen Halblanghaarkatze mit dem flauschigen Kragen und den glänzenden hellgrünen Augen, die in dem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, schnurrend auf dem Sofa liegt, an das völlig verstörte und schwer traumatisierte Häufchen Elend, das Anfang des Jahres 2023 bei uns eingezogen ist.
Mit ihrer Vorgeschichte entspricht sie wohl genau dem Tierschutztierklischee, das leider (und doch nachvollziehbar) häufig verhindert, dass diese Tiere das Zuhause kriegen, das sie so sehr verdienen.
Kriegen wir das hin? Und wenn ja, wie? Wird das Tier sich jemals erholen? Wird es jemals mehr als nur ein „Zusammenleben“?
Natürlich ist jedes Tier anders und kein Schicksal gleicht dem anderen, doch ich kann Ihnen sehr stolz und voller Überzeugung versichern: JA! Es lohnt sich in jeder Sekunde und die aufgebrachte (notwendige) Geduld und Liebe werden mehr als reichlich belohnt.
Bevor Livi Ende Januar 2023 bei uns ihr Zuhause fand, kam sie im Juni 2022 durch eine Polizeirazzia ins Madrider Partnertierheim der Traumkatzen und erhielt dort den Namen Nannar, nachdem sie mit vielen anderen tierischen Leidensgenossen sämtlicher Spezies aus einer illegalen Tierblutbank gerettet wurde. Ein Mitarbeiter des Krematoriums, in das die teils vollständig ausgebluteten Tiere nach ihrem qualvollen Tod gebracht wurden, wollte nicht wegsehen und gab den Behörden den entscheidenden Hinweis zur Zerschlagung des kriminellen Netzwerks, welches das unter unhygienischen Bedingungen, von kranken Tieren entnommene Blut und -plasma an unwissende Kliniken in ganz Europa verkaufte und dessen Zugehörige damit lange Zeit Millionen verdienten.
Wie lange sie dort ausharren musste, ob sie von ihren Vorbesitzern abgegeben oder gar dort geboren wurde wissen wir nicht, doch die katastrophalen Haltungsbedingungen, das durchstandene, wohl unermessliche Leid und ein Leben in permanenter Todesangst hatten die kleine Katzendame deutlich gezeichnet. Sie war völlig unterernährt und dehydriert, extrem ungepflegt, schwer krank und traumatisiert. Und dabei hat es sie, im Vergleich zu vielen anderen, von denen trotz intensiver Bemühungen nicht alle dieses Martyrium überlebt haben, noch verhältnismäßig gut getroffen. Unermüdlich kämpften die spanischen Tierärzte und -pfleger um ihr kleines Leben, päppelten sie liebevoll und mit viel Mühe wieder auf und minimierten so erste Schäden. Livi wollte leben, daran ließ sie keine Zweifel.
(Sollten Sie sich näher für die Geschichte der Blutbankkatzen interessieren, kann sie hier in 4 Teilen nachgelesen werden. Die Bilder und Erzählungen sind überaus drastisch. Psychische Stabilität vorausgesetzt!)
Bis heute reden wir uns ein, dass sie es sicher nicht lange in diesem Albtraum aushalten musste – und glücklicherweise macht sie uns das auch sehr leicht, denn immer öfter scheint es so, als wären neben den körperlichen langsam auch all ihre seelischen Wunden verheilt.
Aus der Katze, die sich nicht vom Schrank traute und Angst vor allem hatte, was sich bewegte und weniger als vier Beine hatte, ist ein gesprächiger, lebenslustiger und mutiger Wirbelwind geworden. Aktiv und mit Nachdruck fordert sie ihre wohlverdienten Streichel- und Spieleinheiten ein, hat das Herz ihrer zunächst skeptischen vierbeinigen Mitbewohner im Sturm erobert und untermauert ihre Zufriedenheit gern durch beeindruckende Knetkünste und lautes, ausgedehntes Schnurren.
„Livia“ stammt aus dem hebräischen und bedeutet „Leben“. Kein Name könnte besser zu unserer kleinen Löwin passen. Sie hat nicht nur überlebt, sondern es mit viel Zuneigung unsererseits und noch viel mehr Mut und Vertrauen ihrerseits geschafft, die grausame Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen, das sie tatsächlich lebt. Mit stets erhobenem Schwanz und unfassbarer Lebensfreude zeigt sie allen stolz, dass sie es geschafft hat. Unser tapferes Mädchen.
Bis wir an diesem Punkt angekommen waren, musste allerdings zunächst einige Zeit vergehen.
Nach ihrer Ankunft war sie alles andere als begeistert. Da konnte dann auch der „Willkommens“-Banner in ihrem Lager nichts mehr dran ändern.
Die lange Fahrt, all die fremden Gerüche, komische Stimmen in unbekannten Sprachen und nicht zuletzt die bereits vorhandenen Fellnasen, in deren Revier sie sich wie ein Eindringling vorkommen musste, überforderten sie ganz offensichtlich. Auch ihre enorme Angst vor Menschen war der Situation nicht förderlich. So verbrachte sie ihre ersten Tage nach dem Einzug fast ausschließlich zusammengekauert in einer Höhle auf dem Kleiderschrank, den sie nur nachts verließ, um vorsichtig „ihren“ Raum zu erkunden. Ein Betreten war kaum möglich, reagierte sie doch auf die bloße Anwesenheit von Menschen mit purer Panik, und so erfolgte die Kontaktaufnahme, nachdem sie einmal vor lauter Angst vor uns vom Schrank gefallen war, eine Zeit lang nur zur Grundversorgung. Zu keiner Zeit auch nur geringfügig aggressiv, sondern einfach durchweg resigniert, gefielen ihr ihre neuen Mitbewohner doch gar nicht und sie sah auch keinen Grund dafür, diese Tatsache zu verbergen.
Die kleine Maus war also, wenig verwunderlich, in keinster Art und Weise bereit, uns ihr Vertrauen einfach zu schenken. Dabei hatten wir doch extra ein Banner gebastelt.
Wir konnten nur eines tun: Warten. Darauf, dass sie sich nicht mehr nur verstecken würde. Dass die Leckereien und das gute Zureden Wirkung zeigen würden.
Darauf, dass ihre Seele heilt.
Mit Drängeln erreicht man in der Regel das genaue Gegenteil dessen, was man eigentlich will, und verbaut sich somit direkt zu Beginn die Grundlage für ein langsam wachsendes Vertrauensverhältnis.
Der Schlüssel zu allem ist Geduld. Und Zeit. Viel davon.
Ich möchte hier nichts Schönreden: Wer ein Tier mit einer traumatischen Vergangenheit und/oder aus schlimmen Haltungsbedingungen zu sich holt, der muss sich auf einiges einstellen. Stundenlanges einfach nur Dasitzen im selben Raum, monate- und stundenlanges Stehen in der Küche, um Schonkost einzukochen, sanftes Zureden und das Singen von Kinderliedern mit der piepsigsten und hellsten Stimme, die man irgendwie hervorbringen kann. Gar das Kriechen über den Boden, wenn der Raum zur Vermeidung einer Panikreaktion nur auf allen vieren betreten oder verlassen werden kann – All das kann durchaus über mehrere Wochen bis Monate notwendig sein, um Schritt für Schritt das gewünschte Vertrauen zu gewinnen.
Doch irgendwann, ganz sicher, ist es so weit. Die katzeneigene natürliche Neugier überwiegt irgendwann die Angst und eines Abends, völlig unvermittelt, wird dieser kleine Fellhaufen sich vorsichtig dem Sofa nähern, auf dem Sie liegen. Plötzlich liegt er dann dort, ganz nah und entspannt, und blinzelt Sie langsam an. Es ist dieser Moment, an dem sie das erste Mal zeigen, dass sie „angekommen“ sind. Dass sie sich sicher fühlen. Dass sie „Zuhause“ sind. Bei und mit Ihnen. Dass Ihre ganze Arbeit und Geduld sich auszahlen.
Dieser Moment ist mit keinem Geld der Welt zu bezahlen. Man kann regelrecht dabei zusehen, wie der Glanz in ihre Augen zurückkehrt (oder überhaupt zum 1. Mal entsteht); wie die damals notwendige aufgebaute Schutzmauer zu bröckeln beginnt, um immer mehr Facetten der wahren Persönlichkeit offen zu legen. Das Gefühl, zu großen Teilen an dieser Entwicklung Teil zu haben und sie direkt mitzuerleben, ist unbeschreiblich. Manchmal gibt es Dinge, die kann man nicht benennen – nur fühlen. Und wenn man Glück hat, kann man sie auf Fotos festhalten.
Seit ihrem Einzug ist mittlerweile knapp ein Jahr vergangen. In dieser kurzen Zeit hat sie unglaubliche Fortschritte gemacht und sich zu dem wundervollen Mädchen entwickelt, das sie immer war, aber lange Zeit aus Selbstschutz nicht sein konnte.
Anfangs schrieb ich, dass Livi für nachhaltige persönliche Veränderungen sorgte. „Inwiefern?“, werden Sie sich jetzt völlig zurecht fragen. Ganz einfach, antworte ich: Sie hat mir vieles beigebracht.
Niemals zuvor ist mir ein Lebewesen begegnet, das so vollumfänglich bereit ist, einfach komplett neu anzufangen und zu vergeben. Trotz schlimmster Misshandlungen und Vernachlässigungen war sie bereit, Menschen noch eine Chance zu geben und die Vergangenheit einfach Vergangenheit sein zu lassen. Statt ihre Energie darauf zu verschwenden, an all den Grausamkeiten festzuhalten, die ihr angetan wurden, schaut sie keine Sekunde zurück. Sie ist zu einer aufgeschlossenen, verspielten und menschenbezogenen Katzendame geworden, die das Hier und Jetzt in vollen Zügen genießt und sichtlich dankbar dafür ist, endlich Frieden gefunden zu haben.
Ihr Lebensmut ist ansteckend und schafft es, selbst die dunkelsten Tage heller werden zu lassen. Sie erdet. Manchmal, wenn mal gefühlt wieder nichts so läuft wie es soll, brauche ich sie nur ansehen – spielend über den Boden rollend. Schau sie dir an. Sie hat all das geschafft. Wie schlimm soll es schon werden?
Gerade Katzen wie Livi sind es, die sich einem ganz tief ins Herz bohren. Sie sind Rohdiamanten, die durch viel Liebe und Fürsorge eines Tages heller strahlen, als man es sich je hätte vorstellen können. Bezahlt werden diese Mühen mit lebenslanger Treue, Dankbarkeit und bedingungsloser Liebe.
Alles, was man für sie getan hat, gibt sie doppelt und dreifach zurück.
Die Geschichte der kleinen Livia ist sicher eine in jedem Sinne außergewöhnliche – doch zeigt sie deutlich, dass es eben keine Sache „des Tieres“ ist, ob die Vergangenheit über die Zukunft entscheidet. Das liegt allein in Ihren Händen.
Sie können aus traumatisierten, scheuen und vernachlässigten „Wildfängen“ zahme Schmusetiger machen – Sie müssen ihnen nur die Chance geben, es zu werden.
Helfen Sie ihnen, zu heilen.